TILARIDS

Auszug:

Der Turm

Ebene 1

Emil und Konrad betreten den Raum über eine Luke im Boden. In der Mitte zwei Stühle. Sie setzen sich. Ihr Blick fällt auf einen Gegenstand, der vor ihnen auf einem Podest steht. Ein Würfel, dessen eine Ecke rund geschliffen ist. Gebannt starren die Beiden ihn an.

Emil: Was ist das?
Konrad: Ein Würfel.
Emil: Nicht ganz. Sieh doch, die Ecke.
Konrad: Trotzdem ist er schön.
Emil: Was soll uns das sagen?
Konrad: Wer hat den hier hingestellt?
Emil: Ob ich ihn in die Hand nehme?
Konrad: Ist er Teil eines Spiels?
Emil: Sollen wir ihn vielleicht reparieren?
Konrad: Wie denn? Wir haben doch kein Werkzeug.
Emil: Aber er ist fehlerhaft.
Pause
Konrad: Alles ist fehlerhaft. Das ist doch nichts Neues.
Emil: So sind wir.

Pause. Sie rücken näher zusammen, näher an den Würfel.

Emil: Was habe ich falsch gemacht? Nenn mir eine Sache, sei ehrlich.
Konrad: Eine?
Emil: Erstmal eine!
Konrad: mmh… Du bist einfach… bescheuert! Er lacht Nein, du bist zu sehr von dir selbst überzeugt… Das auch, aber… Du bist ein Nimmersatt, willst alles haben, immer alles und tust nichts dafür! Hast ständig Krümel im Gesicht.
Emil: nachdenklich Ein Nimmersatt. Pause
Konrad: Weißt du noch damals, also in der Zeit bevor wir uns versteckt haben, da gab es andauernd Situationen, in denen du das Wohlsein oder den Erfolg anderer beobachtet, begutachtet hast. Dann warst du neidisch, hast es ihnen nicht gegönnt, hast verurteilt, verachtet, hast Verrat vermutet, ihnen sogar den Tod gewünscht. Das waren Freunde. Und du immer nur: Ich will auch, ihr dürft das nicht. Was hast du für dich getan? Gar nichts, hast dich in deinem Selbstmitleid ertränkt. Du bist so faul!
Emil: nachdenklich Der faule Nimmersatt. Bin ich denn schon immer faul gewesen?
Konrad: Keine Ahnung. Wieso fragst du mich das?
Emil: Du scheinst ja alles verstanden zu haben!
Konrad: Schon wieder neidisch?
Emil: Keineswegs!
Konrad: Es wäre ja nicht so schlimm, wenn du bloß einsehen würdest, dass es falsch ist aus einem so naiven, maßlosen Gedankengang heraus dir einzubilden du wärst den Anderen in Allem Überlegen. Pause Dann noch der ständige Drang die Wohlfühlillusion zu leben, du Süchtiger!

Emil steht auf. Er nimmt seinen Stuhl, stellt ihn ein wenig abseits hin. Er setzt sich.

Konrad: Es tut mir Leid… Ich… Ich musste es dir halt irgendwann sagen.
Emil: Ist gut! Ich weiß es ja selbst. Jetzt bin ich dran!
Konrad: Dein gutes Recht.
Emil: Die Aufgabe will es. Wir spielen die Wahrheit.
Konrad: Soweit kommt’s noch!
Emil: Psst… Erst einmal bist du genauso faul, sonst hättest du wohl nicht mit mir in dieser Höhle gelegen, was?
Konrad: Das hatte einen anderen Grund.
Emil: Jetzt rede ich! Du bist ein Spätzünder, einer der viel zu lange braucht um zu merken, was er schon alles verpasst hat, der sich seiner Zeit beraubt fühlt, obwohl er selbst daran schuld ist, dass die Zeit inhaltslos vorüberzog. Du hast dich um nichts Wesentliches gekümmert, eigentlich um gar nichts. Du hast jede Nichtigkeit zum Leidensweg erklärt. Du hast immer und immer wieder veruscht dein Unvermögen durch die vermeintliche Falschheit des ganzen gesellschaftlichen Unsinns zu rechtfertigen. Du bist der undankbare Schmarotzer, der es sich insofern leicht gemacht hat, als dass er das Leichte für zu schwer gehalten hat und umso mehr dem Irrglauben verfiel der Knecht allen Übels zu sein. Du bist die wahrhaft faule Sau, ganz ohne Scham.

Konrad wirft sich demonstrativ auf den Boden.

Konrad: Ich weiß halt manchmal einfach nicht weiter. Er lacht
Emil: Lass das! Das ist ernst!
Konrad: Du bist einfach zu eitel!
Emil: Und du zu naiv!
Konrad: lacht Ich bin fähig mich zu distanzieren!

längere Pause

Emil: Sind es wirklich Fehler?
Konrad: Es sind nichts als Eigenschaften.
Emil: Die Fehler liegen in der Handlung.
Konrad: Unterlasse die Handlung!
Emil und
Konrad: Ändere dein Handeln!
Emil: Lass uns den Würfel reparieren!
Konrad: Und wie?
Emil: Mit einer unbekannten Kraft.

Am Ende des Raumes erscheint eine Leiter. Sie führt zu einer weiteren Ebene. Konrad steigt hinauf. Zögernd nimmt Emil den Würfel in die Hand, dann folgt er Konrad.


Der Keller

Staubwolken. Ein düsteres Gewölbe. Sie liegen im Schutt.

Konrad: Geht’s dir gut?
Emil: Ja, ja, nichts passiert.

Das Durcheinander schwindet. Fahles Licht scheint vom Loch in der Decke.

Konrad: Und jetzt?
Emil: Keine Ahnung. Ich kann nicht mehr Denken.
Konrad: Ich versuch’s erst gar nicht.

Schweigen. Emil steht auf und wühlt in den Steinhaufen. Konrad bleibt liegen.

Konrad: Schwarz. Die Gedanken weichen dem Schwarz.

Emil geht ein Stück, hockt sich dann hin. Mit dem Rücken zu Konrad. Es vergeht eine Weile.

Emil: Bilder!
Konrad: Was?
Emil: Bilderflut!
Konrad: Erzähl!
Emil: Zimmer. Dielen. Fenster. Menschenmassen. Einer guckt. Er sagt: „Spiel mir was auf dem Klavier!“ „Kann nicht!“ Feuer. Brennende Ameisenhügel. Alle fliehen. Insektenarmeen. Tuch drüber. Ich rieche daran. Die Nase fällt ab. Früher. Ich sitze in der Steinwanne. Eine Kuh leckt mir den Arm. Die Frau schlägt das schreiende Kind im Kinderwagen. Weit aufgerissene Augen. Der Lehrer fordert. Riesige Pupillen. Später. Akkumulationsschwierigkeiten. Stecknadelköpfe. Der Rachen brennt. Musikpathoswolkenbett. Die Decke bis zur Stirn.
Konrad: Ist Gut! Hör auf!
Emil: Allmacht. Ich schlag ihn mausetot, den Falschspieler. Der Freund reicht mir die Hand. Abgefaulter Arm. Ein Blitz zerschlägt den Baum. Der Vater weint. Jetzt. Sonderwunsch nach klar erfahrbarer Bewusstseinswillkür. Der Wille zur Selbsternüchterung. Schlafzimmerisolation. Vermächtnis der Einbildung. Die Einbindung ins Spiel der Gegenwart bedeutet Eroberung. Jetzt. ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG! ALLES MUSS WEG!

Konrad beginnt lange und ausdauernd zuschreien. Emil stimmt mit ein. Nach einer Weile hört Konrad auf. Emil schreit weiter. Konrad steht auf und rennt zur lehmigen Wand. Er fängt mit aller Kraft zu graben an.

Konrad: Ich weiß es wieder! Ich hab’s auch gesehen! Dieser Kopf! Dieser Kopf mit dem Loch an einer Seite. Und der Sternenhimmel fährt da rein!

Emil verstummt. Erstarrt blickt er zu Konrad. Dann rennt er zu ihm. Beide graben und buddeln mit bloßen Händen. Ein Tunnel entsteht. Sie graben schräg nach oben. Sie graben sich frei. Gleißendes Licht.

Emil: Was ist jetzt mit der Kugel?
Konrad: Schon vergessen! Abgeschlossen! Schon Vergangenheit! Tot und begraben!
Emil: Dem Tod folgt das Leben!

Sie klettern ins Freie.